WER bekommt Typ 2 Diabetes?
„Selber schuld, wenn man Typ 2 Diabetes hat“
„Schau Dir diesen Typen an, wie übergewichtig der ist, na klar kriegt der Typ 2 Diabetes - selber schuld!“
„Was die war ganz schlank wie sie die Diagnose Typ 2 Diabetes bekommen hat - dann muss sich der Doktor geirrt haben oder sie hat etwas falsch gemacht beim Essen, sie ist ganz bestimmt selber schuld!“
Selber schuld, selber schuld, selber schuld,…
Ich wäre nicht die Zuckertante, wenn ich Ihnen jetzt nicht sagen würde: „Das ist Bullshit, Blödsinn!“
Trotzdem: warum bekommt dann einer von 10 Menschen im Lauf des Lebens Typ 2 Diabetes und genauso interessant: warum bekommen es die anderen 9 nicht?
Wie ist das mit dem Übergewicht?
DAS ist das größte Ärgernis Thema
Der „Body Mass Index, BMI“
Ja ich weiß, es gibt immer wieder Diskussionen dass diese Zahl nicht ganz aussagekräftig ist. Aber ganz ehrlich für uns Durchschnittsmenschen, die wir weder Body-Builder sind noch Sumo-Ringer passts ganz gut und weltweit wird damit gearbeitet. Also orientieren wir uns auch am Body Mass Index.
BMI größer 25 = Übergewicht
BMI größer 30 = Adipositas , „Fettsucht“ ( was für ein ekliges Wort!)
Stellen wir uns einen Menschen vor, 170 cm groß. Für ihn oder sie gilt:
Körpergewicht 73-86 kg = übergewichtig
Körpergewicht über 86 kg: = adipös
Übergewicht: in Deutschland derzeit 2 Drittel der Männer und die Hälfte der Frauen.
Adipös: in Deutschland knapp ein Viertel der Menschen 2 3% der Männer und 24% der Frauen.
(Quelle: deutsche Adipositas-Gesellschaft)
Anzahl der Menschen mit Diabetes
Typ 2 Diabetes haben je nach Erhebung zwischen 7,5 und 9% der Menschen in einem Land. Wir wissen, dass es eine Dunkelziffer gibt, dass leider noch immer Leute herumlaufen, die Typ 2 Diabetes haben, die aber gar nichts davon wissen. Wie groß dieser Anteil ist, das wissen wir naturgemäß nicht, weil diese Menschen es ja nicht wissen und nicht zum Doktor gehen.
Einigen wir uns für diese Folge darauf dass wir sagen circa 10% der Menschen in erste Welt Ländern haben Typ 2 Diabetes, das kommt schon so ungefähr hin. Da sind jetzt auch schon die nicht entdeckten Diabetiker miteinbegriffen, das ist alles sehr ungefähr aber wir brauchen keine genaueren Zahlen
Wenn wir sagen dass 10% der Menschen Typ 2 Diabetes bekommen, dann würde das bedeuten einer von 10.
Also: 1 Mensch von 10 bekommt im Lauf seines Lebens Typ2 Diabetes. Einer. Punkt.
ABER: 2 Drittel der Männer und die Hälfte der Frauen sind übergewichtig.
Das heißt von 10 Männern müssten 6 bis 7 Typ 2 Diabetes bekommen, und bei den Frauen 5 von 10.
Unser Gesundheitssystem würde auf der Stelle zusammenbrechen.
Und selbst wenn wir „nur“ über Adipositas reden, also Body Mass Index über 30 - Sie erinnern sich bei einem 1 Meter 70 großen Menschen Körpergewicht über 86 Kilogramm - da ist es immer noch knapp ein Viertel der Männer und der Frauen, die in diesem Gewichtsbereich liegen. Das würde also bedeuten, dass von 10 Menschen 2 bis 3 Typ 2 Diabetes bekommen. In Wirklichkeit bekommt aber nur 1von 10 Diabetes und nicht 2 bis 3.
Das heißt: es stimmt einfach nicht, dass Adipositas zwangsläufig zu Typ 2 Diabetes führt und außerdem: es gibt ja gar nicht so wenige Menschen, die sind schlank wenn sie die Diagnose Typ 2 Diabetes bekommen. Also was soll das Ganze?
Man kann und darf nicht sagen dass „jeder Mensch mit Adipositas Typ 2 Diabetes bekommt und daher selbst schuld ist“, weil es nicht stimmt .
Wenn das stimmen würde und wenn wir nur die Adipösen nehmen mit einem BMI über 30 - also über 86 Kilo bei ein Meter 70 Körpergröße - dann hätten wir in etwa das Zweieinhalb- bis Dreifache an Diabetes in der Gesellschaft.
Es ist halt ganz einfach nicht wahr, dass jeder Übergewichtige Diabetes bekommt und es ist und andersherum auch nicht wahr, dass jeder der Diabetes bekommt, übergewichtig ist.
Zu viele Kilos und KEIN Diabetes
Wir können mit Sicherheit sagen, dass es viele Menschen mit Übergewicht da draußen gibt, die keinen Diabetes haben und auch nicht auf dem Weg dorthin sind, die einfach einen gesunden Stoffwechsel haben.
Ihre Zuckertante – ich - bin dafür ein Beispiel:
Ich habe Glück und ich bin sehr dankbar dafür, keinen Typ 2 Diabetes zu haben. Ich schaue mir meine Laborwerte so zweimal im Jahr an und das letzte Mal vor ein paar Wochen war mein HbA1c bei wunderhübschen 5,2 , schön im gesunden Bereich. Ich bin mit einem Body Mass zwischen 31-33 unterwegs, also deutlich adipös. Das ist nicht gesund, ich bin nicht glücklich darüber, ich arbeite daran seit gefühlt 50 Jahren mit sehr wechselndem Erfolg - aber Diabetes hab ich jedenfalls nicht.
Und so wie mir geht es vielen vielen anderen Menschen.
Also hier haben wir einen klaren Widerspruch: einer von 10 Menschen bekommt Typ2 Diabetes .
2 bis 3 Menschen von 10 sind adipös, stark übergewichtig, und von denen die Typ 2 Diabetes bekommen, sind noch dazu einige schlank bei der Diagnose. Also ist der Zusammenhang nicht so stark wie man glaubt und vor allem gibt uns das nicht das Recht zu sagen irgendwer ist selbst schuld dran.
Die Vererbung
Da wird es jetzt richtig kompliziert.
Sie wissen vielleicht, dass Ärzte Sie immer wieder fragen: „Gibt es in Ihrer Familie Diabetes? Haben ihre Eltern, Großeltern, Ihre Geschwister Typ 2 Diabetes?“ Das fragen wir deshalb, weil wir wissen, dass die Anlage zu Typ 2 Diabetes sehr stark vererblich ist.
Aber wie bei allem bei Typ 2 Diabetes ist es auch hier so richtig kompliziert: es gibt nicht das EINE Gen, die EINE Erbanlage für Typ 2 Diabetes. Es ist nicht so, dass man sagen könnte : wenn Mutter das Diabetes-Gen hat bekommt es zum Beispiel jedes zweite Kind - so einfach ist das bei weitem nicht .
Viele Faktoren
Die Wissenschaft macht immer mehr Fortschritte und wir kennen inzwischen sehr viele verschiedene kleine Faktoren in diesem riesigen Gen-Pool, den wir Menschen haben, Faktoren, die bewirken, dass ein Mensch im Laufe des Lebens leichter Diabetes entwickelt. Vor 10 Jahren habe ich bei Vorträgen und Schulungen noch von 20 bis 30 solcher Genanlagen gesprochen, im Moment reden wir von 60 bis 70 und wahrscheinlich sind es noch mehr.
Das sind so kleine Eigenschaften im Erbgut, die jede für sich ein klein wenig das Risiko erhöhen, Typ 2 Diabetes zu bekommen.
Gesunde Eltern - trotzdem Diabetes bei den Kindern
Es kann sein, dass Papa und Mama Stoffwechsel-mäßig ganz gesund sind bis ins hohe Alter, dass aber sowohl Mama als auch Papa ein paar von diesen Genveränderungen haben, aber dass es bei Papa und Mama jeweils nicht stark genug ist, Typ 2 Diabetes auszulösen. Wenn dann aber diese Faktoren in einem Kind zusammen kommen, dann hat dieses Kind ein hohes Risiko Typ 2 Diabetes zu bekommen, auch wenn Papa und Mama ein Leben lang Stoffwechsel-gesund sind.
Das erklärt auch, warum es immer wieder Menschen gibt, die Typ 2 Diabetes bekommen und die auch bei scharfem Nachdenken sagen:
„In meiner Familie hat es sowas nie gegeben, weder bei den Eltern noch bei den Großeltern!“
Viel häufiger ist die andere Geschichte, dass jemand sagt:
„Oh je, Zuckerwert erhöht - das kenne ich schon, meine Mutter, meine Großmutter, die Tante, der Onkel mütterlicherseits, die waren alle Typ 2 Diabetiker!“
Das ist übrigens eine ziemliche Belastung, weil man dann oft als erwachsener Mensch in der Erinnerung hat, wie diese Vorfahren mit ihrem Diabetes gelebt haben.
Da kommen wir oft in die Zeit vor den 1980er Jahren, also in die Zeit wo es noch keine modernen Diabetes-Tabletten gegeben hat und vor allem keine kleinen Messgeräte. So erinnern sich viele Menschen an Vorfahren mit Diabetes, die ganz schreckliche Zustände hatten, die sehr sehr krank waren, die vielleicht auch an den schlimmen Spätfolgen gestorben sind.
Das ist manchmal eine schlimme Belastung, wo ich oft einiges an Zeit hineinstecke, mit Menschen zu besprechen: „Ja Ihre Erinnerung ist richtig, das war damals so, aber zum großen Glück haben wir heute völlig andere Medikamente, Möglichkeiten und vor allem die Möglichkeit den Blutzucker selber zu messen.“
Also ja, genetische Faktoren spielen eine riesengroße Rolle. Es gibt allein schon für Insulinresistenz verschiedene Erbfaktoren, die bewirken, dass jemand eher schlechter auf Insulin reagiert.
Wo sind die Zusammenhänge?
Die Häufigkeit des Übergewichts in der Bevölkerung ist also grösser ist als die Häufigkeit des Typ 2 Diabetes.
Es gibt viele Faktoren der Vererbung.
Hängt es denn gar nicht mit dem Verhalten zusammen? Doch!
Zum Mitdenken: das Zwillings-Beispiel
Stellen Sie sich eineiige Zwillinge vor, die dieselbe genetische Ausstattung haben.
Stellen wir uns vor, dass dieses Zwillingspärchen leider von seinen Eltern Gene mitbekommen hat, die bewirken dass die beiden ein hohes Risiko haben Typ 2 Diabetes zu entwickeln.
Beide leben ihr Leben und landen in völlig unterschiedlichen Lebenssituationen, völlig unterschiedlichen Berufen, völlig unterschiedlichen Stressbelastungen, und so weiter. Die eine Zwillingsschwester ist Zeit ihres Lebens eine eher gelassene, fröhliche, schlanke, sportliche Person, die sehr auf gesundes Essen achtet und viel Bewegung macht und deren Durchschnittsgewicht so bei 65 bis 70 Kilo liegt und damit ist sie ganz zufrieden.
Die andere Schwester hatte nicht so viel Glück im Leben, sie steckt vielleicht in einer schwierigen Lebenssituation, sie ist stark übergewichtig geworden, sagen wir mal sie hätte jetzt 110 Kilo. Sie hat dadurch Kummer und Sorgen, denn niemanden sind 110 Kilo egal, glauben Sie mir. Sie hat auch viel Stress und natürlich bewegt sie sich auch weniger als ihre 70 Kilo Zwillingsschwester.
Wenn Sie sich die beiden jetzt nebeneinander vorstellen:
beide haben dasselbe Risiko Typ 2 Diabetes zu bekommen.
Welche der beiden wird schneller und früher Anzeichen für Diabetes entwickeln?
Welche von beiden wird früher erhöhte Zuckerwerte haben?
Die schlanke fröhliche gelassene sportlich aktive 70 Kilo Frau oder die unglückliche gestresste 110 Kilo Frau, die sich nur wenig bewegen kann?
Ich glaube, die Antwort ist klar: natürlich wird bei der Schwester, die übergewichtig ist, die Stressbelastung hat, die sich weniger bewegt bei der selben genetischen Ausstattung der Diabetes um Jahre bis Jahrzehnte früher sich bemerkbar machen als bei ihrer Schwester.
Und sehen Sie: da ist der Zusammenhang.
"Früher" Diabetes
Und bevor Sie jetzt ganz traurig werden:
Die übergewichtige Schwester bekommt vielleicht schon mit 35-40 Jahren Typ 2 Diabetes, sie wird sich fürchterlich erschrecken, wenn sie die Diagnose bekommt, sie wird traurig sein, zornig, wütend, wie man eben auf seine Diagnose reagiert,… aber sie kann sehr viel dagegen machen.
Vielleicht ist auch die Diabetesdiagnose für sie ein Ansporn sich helfen zu lassen, dort wo sie es am meisten braucht. Das kann regelmäßige Begleitung während einer Diät sein, das kann eine Psychotherapie sein, das kann eine Änderung der Arbeitssituation oder privaten familiären Situation sein - was auch immer - vielleicht ist für sie die Diagnose Diabetes der Ansporn und der letzte Auslöser, dass es ihr jetzt gelingt, ein bisschen gesünder zu leben und zumindestens 5 bis 10% Gewicht abzunehmen, denn das wissen wir auch: eine Gewichtsabnahme von 5 bis 10% bewirkt, dass der Diabetes einen großen Schritt zurückgeht. Und was ihr Körper mit 110 Kilo nicht schafft, schafft er vielleicht mit 99 Kilo ganz wunderbar, außerdem würde sie sich dann freuen dass sie ein UHU ist ein „Unter-Hunderter“
Diese Frau hat also sehr viele Möglichkeiten selbst etwas zu verbessern.
"Später" Diabetes
Jetzt gibt es aber die schlanke Schwester auch noch und die hat ja dasselbe Risiko Diabetes zu bekommen. Sie bekommt ihre ersten erhöhten Zuckerwerte wohl nicht schon mit 35 Jahren, vielleicht aber mit 65 und ist dabei noch immer schlank und sportlich und eher ein gelassener Typ. Sie wird sich fürchterlich ärgern, wenn ihr der Arzt, die Ärztin die Diagnose sagt: „Ich hab doch immer gesund gelebt, was soll der Mist jetzt!“
Und daran sieht man eben: es ist eine Krankheit, der auch schlanke Menschen nicht immer auf Dauer entgehen können. Und was für sie natürlich auch ein bisschen belastend sein kann, ist, dass sie mit Recht sagen wird: „Was soll ich denn noch verbessern, was soll ich denn noch mehr Sport machen ,noch gesünder leben?“
Das Einzige was ich hier als Ärztinnen sagen kann, ist: „Ja, Sie machen schon so viel Gesundes in Ihrem Leben und das ist ja auch toll. Da gibt es nicht mehr viel zu verbessern. Sie werden sehr schnell die Hilfe von Medikamenten brauchen, aber was ich Ihnen als Trost sagen kann: wären Sie übergewichtiger, hätten Sie nicht so viel Bewegung gemacht, wären Sie jemand, der sehr zu Stress-Belastungen neigt usw: Sie hätten den Diabetes Jahre oder Jahrzehnte früher bekommen.“ Gerade ihr gesundes Leben hatte dazu beigetragen, dass es erst so spät auftritt und es ist vielleicht ein schwacher Trost, aber es ist einfach die Wahrheit.
Das heißt also, wenn wir uns unser Schwestern- Pärchen anschauen: die eine, die Diabetes sehr früh bekommt: ja sie hat ein Riesenproblem, natürlich, vor allem auch weil bei ihr das Risiko der Spätschäden viel viel höher ist als wenn der Diabetes mit 65 auftritt, einfach weil die Lebenszeit, die Jahre mit Diabetes so viel mehr sind wenn er in jüngerem Alter auftritt.
Sie hat jeden Grund zu schauen, dass die Zuckerwerte möglichst in Normalbereiche kommen auch mit Hilfe von Medikamenten - zum Glück gibt es ja jetzt auch Medikamente die ihr beim Übergewicht gut helfen können - die andere hat 30 mehr Jahre gehabt bei guter Gesundheit, ist erst spät mit der Krankheit konfrontiert und wird ihren gesunden Lebensstil sicherlich beibehalten. Sie wird sehr schnell oder gleich von Anfang an die Hilfe von Medikamenten brauchen und wahrscheinlich dann recht bald Insulin.
So ich hoffe, ich habe Ihnen diese Zusammenhänge ein bisschen näher bringen dürfen und ich hoffe, dass es Ihnen ein paar Aha-Momente beschert hat. Ich freu mich, wenn Sie drauf antworten, gleich hier unterhalb!
Wenn für Sie die Diagnose neu ist: ich hab 3 Videos für Anfänger, für Menschen, die die Diagnose Diabetes neu bekommen haben. Die Videos sind von Ostern, deshalb kommt da immer wieder das Wort Osterfestessen und Oster Schokoeier, das ist ja ganz egal. Ich stelle Ihnen diese Videos kostenlos hier zur Verfügung. Wenn für Sie die Diagnose neu ist, schauen Sie da rein, da erfahren Sie was man am Wichtigsten braucht ganz am Anfang.
Die Zuckertante grüßt
und wünscht allzeit gute Werte!
Vielen, vielen Dank für den wie immer aufschlussreichen Podcast.
LGFP
Das ist ja nett – dankeschön!
Susanne Pusarnig