Festessen mit Typ-2-Diabetes:
das geht!
„Ich habe da diese Einladung, aber ich glaube, es ist besser, ich gehe gar nicht hin.“
Das höre ich oft in meiner Praxis. Der Grund? Angst vor hohen Zuckerwerten nach einem festlichen Abendessen.
Und ja, es stimmt: Ein Festessen mit Typ-2-Diabetes ist keine einfache Sache. Aber eines möchte ich Ihnen gleich mitgeben: Sie sollten auf keinen Fall auf schöne Momente verzichten, nur weil Sie Diabetes haben.
Wie das gehen kann? Mit realistischen Erwartungen, guter Vorbereitung und einer klugen Herangehensweise. Genau darüber sprechen wir heute.
Realistische Erwartungen: Kein Festessen ohne Blutzuckeranstieg
Zuerst eine wichtige Wahrheit: Wenn Sie an einem Festessen teilnehmen und vielleicht einige Ihrer alltäglichen Regeln über Bord werfen, wird Ihr Blutzucker am nächsten Morgen höher sein. Und das ist ganz normal. Die Frage ist nicht, ob Ihre Werte steigen – sondern wie sehr.
Ein akzeptabler Anstieg liegt im Bereich von 40 bis 80 mg/dl (ca. 2,2 – 4,4 mmol/l). Wenn Sie das schaffen, können Sie sich auf die Schulter klopfen – dann haben Sie vieles richtig gemacht. Entscheidend ist aber Ihre Ausgangssituation:
- HbA1c unter 7,5 %: Eine gute Diabetes-Einstellung macht es Ihnen leichter, ein Festessen zu genießen, ohne große Entgleisungen zu riskieren.
- HbA1c zwischen 7,5 % und 8,5 %: Hier wird es etwas schwieriger, aber mit Vorsicht und Planung können Sie das Festessen gut meistern.
- HbA1c über 8,5 %: Seien Sie besonders aufmerksam. Jede Ausnahme kann Ihre Werte stark beeinflussen.
- HbA1c über 10 %: In solchen Fällen rate ich dringend zu großer Vorsicht. Festessen mit vielen Süßigkeiten, Fruchtsäften oder Mehlspeisen können wirklich riskant werden. Hier besteht die Gefahr einer Entgleisung, die unter Umständen sogar einen Spitalsaufenthalt erfordert. Riskieren Sie das nicht!
In diesem Fall gelten alle Vorschläge hier nicht für Sie – da kann ich wirklich nur raten, ganz zu verzichten und sich um eine besser Einstellung zu bemühen, damit Sie nächstes Mal dabei sein können.
Wenn Ihre Zuckerwerte so hoch sind, sollten Sie sich lieber zurückhalten. Denken Sie daran: Ihre Bauchspeicheldrüse hat bei dauernd hohen Werten kaum noch Reserven. Ein Festessen könnte für Ihren Körper eine zu große Belastung sein.
Vorbereitung: Festessen fängt schon vorher an
Ein Festessen ist wie eine Prüfung: Wer gut vorbereitet ist, kommt besser durch. Ihre „Vorbereitung“ beginnt nicht am Tag des Essens, sondern schon einige Tage vorher.
Die Tage vor dem Festessen:
- Bauchspeicheldrüse entlasten: Ernähren Sie sich in den Tagen vor dem Festessen besonders „diabetesgerecht“. Das bedeutet: möglichst wenig Zucker und Kohlenhydrate, dafür viel Gemüse und Eiweiß. So kann Ihre Bauchspeicheldrüse Reserven aufbauen.
- Bewegung: Gehen Sie spazieren, bewegen Sie sich mehr als sonst. Ihre Zellen werden insulinempfindlicher, was Ihnen am Festtag hilft, den Blutzuckeranstieg abzufedern.
Am Tag des Festessens:
Beginnen Sie den Tag leicht und „brav“. Sie wissen ja selbst, nach welchen Essen Ihre Zuckerwerte am wenigsten ansteigen.
Das Essen
- Das Frühstück: Eiweiß-reich, wenig Kohlenhydrate, viel Gemüse. Also zB Tomaten Radieschen Paprika Karotten und Hüttenkäse oder 1 – 2 Eier, wenn Brot, dann Eiweiß- oder Vollkorn-Brot.
- Das Mittagessen: idealerweise haben Sie für solche Tage schon das Richtige vorbereitet und griffbereit – der „Klassiker“ ist die eingefrorene Gemüsesuppe, vielleicht mit etwas Hühnerfleisch drin. Ofengemüse, zB mit etwas Feta, oder gekochtes Gemüse oder Salate gehen natürlich auch. Wichtig dabei: essen Sie eine eher große Portion, so dass Sie gut gesättigt sind und Ihr Darm und Ihre Darm-Bakterien mit Ballaststoffen gut und gesund beschäftigt sind.
- Zwischenmahlzeiten Lassen Sie Süßes, Obst und Snacks aus. Belasten Sie Ihren Körper damit nicht unnötigerweise schon vor dem Abendessen!
- Wichtig: Falls Sie Insulin spritzen oder Medikamente nehmen, die bewirken, dass Ihre Bauchspeicheldrüse mehr Insulin ins Blut schickt ( Sulfonylharnstoffe – eventuell Arzt fragen!) : Sie brauchen Ihre gewohnten Mengen Kohlehydrate (Brot, Beilagen) auch an diesem Tag!
Die Bewegung:
Wenns irgendwie geht: bisschen Bewegung machen, vielleicht einen Spaziergang, der hilft auch gleich beim ruhiger Werden und Sie haben Gelegnenhit ein bisschen über den kommenden Abend nachzudenken, sich darauf zu freuen und eventuelle Schwierigkeiten vorab im Geist durchzuspielen.
Ihre Stimmung
wenn irgend möglich, tun Sie etwas um zur Ruhe zu kommen und entspannt zum Festessen zu gehen. Ein Spaziergang vielleicht, oder genug Zeit für die Badewanne bevor Sie sich schön machen.
Falls Sie ein unangenehmes Gefühl haben, weil Sie an dem Abend auf Menschen treffen werden, mit denen Sie arge Probleme haben:
- Überlegen Sie: gibt es auch nette Erinnerungen an diese Person?
- Gibt es Erinnerungen, die Sie zu verständnisvollem Lächeln oder Schmunzeln bringen?
Wenn spitze oder herablassende Bemerkungen zu erwarten sind: überlegen Sie, wie das bis jetzt immer abgelaufen ist: ergibt vorhersehbar ein Wort das andere und zum Schluss herrscht unbehagliches Schweigen? Kommt es regelmäßig zum Streit?
Wollen Sie das wieder so durchspielen? Wenn Sie „Tante Amalie“ nur einmal im Jahr sehen – ist es die Sache wert, auf ihre Bemerkungen zu reagieren?
Die andere Person können Sie nicht ändern, aber SIE können ausprobieren, was passiert, wenn Sie sich anders verhalten:
weghören – überhören – mit einer nichtssagenden höflichen Phrase antworten – das Thema wechseln – einfach nur freundlich lächeln….
Das Festessen: kleine Erfolge helfen enorm!
Jetzt wird es spannend. Der Abend beginnt.
DER Trick schlechthin – durch psychologische Studien abgesichert:
Verschaffen Sie sich in der ersten Hälfte des Abends einige kleine Erfolge!
Gerade am Anfang ist es recht leicht, unnötige Kohlenhydrate zu vermeiden:
1. Begrüßungsgetränk:
Beginnen Sie gleich mit einer klugen Entscheidung: Wählen Sie ein kalorienfreies Getränk wie Mineralwasser oder zB Cola light (Eventuell selbst mitbringen)
Kein Fruchtsaft!
Falls Sie nicht auf Alkohol verzichten wollen, greifen Sie zu einem Glas Sekt, stoßen Sie an, nippen Sie – und stellen Sie es beiseite.
Geschafft? Seien Sie kurz und bewusst stolz auf sich!
2. Salzgebäck etc… :
steht herum? Noch sind Sie stark, Sie greifen NICHT hin – kein einziges Mal! Wär doch dumm sich den Bauch mit billigem Knabberzeugs zu füllen vor einem hervorragendem Essen!
Geschafft? Seien Sie kurz und bewusst stolz auf sich!
3. Vorspeisen oder Suppe:
Die meisten Vorspeisen bestehen aus Eiweiß und Fett – Lachs, Forellenmousse oder Pasteten sind völlig unproblematisch. Lassen Sie Brot und Toast links liegen. Sie vermissen sie nicht, wenn Sie sich auf die eigentlichen Köstlichkeiten konzentrieren.
Geschafft? Seien Sie kurz und bewusst stolz auf sich!
4. Hauptgang:
Das Wichtigste hier ist meist ein Fisch oder ein schöner Braten – bemühen Sie sich, ein großes schönes Stück zu bekommen! „Auf Deinen Hirschbraten/Karpfen/Kalbsbraten hab ich mich shcon so gefreut!“ Dazu große, gerne auch doppelte Portionen Gemüse oder Salate. Beilagen wie Kartoffeln, Reis oder Nudeln sollten Sie ganz sparsam wählen.
Geschafft? Seien Sie kurz und bewusst stolz auf sich!
Idealerweise haben Sie bis jetzt nur kalorienfreie Getränke gehabt - wenn Sei gerne guten Wein trinken: hier ist die Gelegenheit, ein gut ausgewähltes schönes Glas Wein zu diesem guten Essen!
5. Dessert:
Wenn Sie gut bis hierher gekommen sind, werden Sie nun etwas locker lassen. Achtung Weihnachten: da gibt es oft ein Dessert und danach noch die Weihnachtskekse!
Noch einmal mitdenken: was ist Ihnen wichtiger?
Oder: Mini-Portion Dessert – und dann die Kekse?
Weihnachtskekse: schwierig, schwierig!
Eine Möglichkeit: kleinen Teller nehmen, von jeder Sorte 1 drauf, von Ihren Lieblings-Sorten 3 Stück. Und die dann langsam knabbern, in kleinen Stücken.
Die Psycho-Tricks:
Interessanterweise kann uns die Psychologie helfen, ein Festessen besser zu meistern.
Ein wichtiger Ansatz ist eben, sich bewusst kleine Erfolgserlebnisse zu schaffen. Wie in den Beispielen oben!
Halten Sie immer wieder kurz inne, machen Sie sich bewusst: “He, das ist ja gut gelaufen!“ – bei diesen kleinen Gelegenheiten: die Getränke, das Salzgebäck, kein Brot zur Vorspeise oder zur Suppe, kluge Auswahl beim Hauptgang… freuen Sie sich über jeden dieser Schritte!
Denn Studien zeigen uns: Menschen, die nach mehreren ganz kleinen Erfolgserlebnissen vor einen Berg Süßigkeiten gesetzt wurden, „brauchten“ deutlich weniger als Menschen, die unvorbereitet dazu kommen.
Diese kleinen positiven „Aha-Momente“ werden bewirken, dass Sie auch während des Rests des Abends nicht allzuviel Ungesundes zu sich nehmen.
Und selbst wenn irgendwann zu vorgerückter Stunde alle guten Vorsätze dahin sind und Sie ungebremst zugreifen: immerhin haben Sie Ihren Körper bis dahin mit viel viel weniger Kohlenhydraten belastet als wenn Sie sich den ganzen Abend nicht um Ihren Diabetes gekümmert hätten.
Ein weiterer Tipp: Versuchen Sie nicht, den Diabetes komplett zu verdrängen. Akzeptieren Sie, dass er da ist – aber lassen Sie ihn nicht den ganzen Abend bestimmen.
Nach dem Festessen: Alles wieder ins Lot bringen
Nach einem gelungenen Abend können Sie aktiv dazu beitragen, Ihre Zuckerwerte wieder in Balance zu bringen:
- Bewegung: Ein Spaziergang am nächsten Tag hilft, den Stoffwechsel anzukurbeln.
- Gesunde Ernährung: Kehren Sie zu Ihren gewohnten Mahlzeiten zurück und verzichten Sie für einige Tage auf zusätzliche Ausnahmen.
Fazit: Mit Planung und Gelassenheit zum Genuss
Festessen sind auch für Menschen mit Typ 2 Diabetes möglich! Mit einer realistischen Einstellung, guter Vorbereitung und klugen Entscheidungen während des Abends können Sie die Feierlichkeiten genießen und am nächsten Tag zufrieden auf Ihre Werte schauen.
Lassen Sie sich nie von Ihrem Diabetes abhalten, schöne Momente zu erleben. Leben heißt auch feiern – und das geht auch mit Typ-2-Diabetes.
Ihre Zuckertante wünscht Ihnen genussvolle und entspannte Festtage!
Die Zuckertante grüßt
und wünscht allzeit gute Werte!