Diabetes und Stress
Diabetes ist manchmal ein lästiger Begleiter – und dann kommt auch noch der Stress dazu!
Was viele nicht wissen: Stress hat einen enormen Einfluss auf Ihre Blutzuckerwerte. Wenn Sie das Gefühl haben, dass Ihr Blutzucker „ein Eigenleben“ führt, dann könnten Stress und seine Auswirkungen mit ein Grund dafür sein.
In diesem Artikel sehen wir uns das etwas genauer an und überlegen, wie man Stress vielleicht ein bisschen besser in den Griff bekommen kann.
Ich verspreche Ihnen keine Wunder – aber es gibt tatsächlich einfache und wirksame Methoden, die Ihrem Körper helfen können, besser mit Stress zurecht zu kommen und so vielleicht auch die Blutzuckerwerte etwas stabiler zu halten.
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Stress und Blutzucker – wie hängt das zusammen?
Stellen Sie sich folgende Situation vor: Sie hetzen zur Arbeit, die Zeit drängt, der Verkehr ist ein Albtraum, und Ihr Chef ruft schon an, weil Sie verspätet sind.
Oder: Sie hetzen von der Arbeit zum Supermarkt, weil Sie noch für Ihre pflegebedürftige Mutter einkaufen müssen und eigentlich leben Sie dauernd in Angst und Sorge, dass ihr alleine zu Hause etwas zustößt und sind jedes Mal in hohen Anspannung, wenn Sie sie besuchen gehen.
Solche Situationen wiederholen sich in unserem Leben nur allzu oft und sind für jedermann belastend.
Wenn man an Diabetes erkrankt ist, kommt dazu noch der Einfluss auf die Zuckerwerte, denn:
Ihr Körper registriert das alles als Stress.
Er schüttet Stresshormone aus, hauptsächlich Adrenalin und Cortisol. Diese Hormone sorgen dafür, dass Glukose („Zucker“) aus den Reserven in der Leber freigesetzt wird – ein natürlicher Mechanismus, um dem Körper in einer vermeintlichen "Kampfsituation" Energie bereitzustellen. Früher hieß das, schneller vor einem Bären wegrennen zu können. Heute heißt es leider oft: erhöhter Blutzucker ohne körperliche Aktivität, die ihn wieder senken würde.
Der plötzliche starke Zucker-Ausstrom aus der Leber bewirkt natürlich einen Anstieg des Blutzucker-Spiegels – und nun wäre schnell mehr Insulin nötig, das mithilft, dass der Zucker seinen Weg in die Muskelzellen hinein findet – und dass so der Blutzucker-Spiegel wieder auf normale Werte absinkt.
Aber dieses zusätzlich nötige Insulin können Menschen mit Typ 1 Diabetes gar nicht und Menschen mit Typ 2 Diabetes nur mehr teilweise selbst herstellen… Folge: der Blutzucker steigt schnell an und bleibt längere Zeit erhöht.
Stress wirkt also direkt auf Ihren Stoffwechsel, indem Stress-Hormone wie Glukokortikoide (Cortisol) und Katecholamine (Adrenalin) ausgeschüttet werden. Diese erhöhen den Insulinbedarf und verstärken die Insulinresistenz – und genau das führt bei Menschen mit Diabetes zu einer langanhaltenden Hyperglykämie. 1
Was zunächst nach einer kurzfristigen Reaktion klingt, kann sich im Alltag zu einem chronischen Problem entwickeln, wenn die Stressbelastung nicht nachlässt.
Langfristiger Stress – eine Gefahr für Ihre Zuckerwerte
Wussten Sie, dass hoher Stress nicht nur Ihre Blutzuckerwerte unmittelbar erhöht, sondern auch langfristig eine Verschlechterung der Diabeteskontrolle verursacht?
Eine Studie fand heraus, dass Menschen mit höherem Stressniveau auch höhere Nüchtern-Blutzuckerwerte haben. Der Zusammenhang ist dabei klar: Je mehr Stress Sie empfinden, desto stärker sind die Blutzuckerschwankungen.
Eine weitere Untersuchung konnte belegen, dass Menschen, die besonders empfindlich auf Stress reagieren, auch eine höhere Variabilität in ihren Blutzuckerwerten zeigen. Das heißt, dass ihre Zuckerwerte stärke schwanken und „unruhiger“ sind.
Interessanterweise konnte die Unterstützung durch den Partner diese Effekte abmildern. 2 Das zeigt, dass auch soziale Unterstützung ein wichtiger Faktor im Diabetesmanagement sein kann – ein liebevolles Wort oder eine helfende Hand können wirklich einen Unterschied machen.
Der Teufelskreis des oxidativen Stresses
Chronischer Stress führt nicht nur zu Schwankungen im Blutzucker, sondern auch zu erhöhtem oxidativen Stress. Dieser „böse Bruder“ des psychischen Stresses entsteht, wenn der Körper zu viele ungünstige „Abfallstoffe“, freie Radikale, produziert. Eine Studie zeigte, dass Blutzuckerschwankungen eng mit erhöhtem oxidativem Stress verbunden sind, und dieser kann die Diabeteskontrolle weiter verschlechtern. Oxidativer Stress wirkt wie ein "Verstärker": Einmal in Gang gesetzt, verschlimmert er die Insulinresistenz und erhöht so den Blutzucker weiter.
Stress als Diabetes-Risikofaktor
Vielleicht denken Sie jetzt: „Na, wenn ich schon Stress habe, habe ich halt schwankende Zuckerwerte – nicht schön, aber auch nicht zu ändern?“
Tatsächlich kann chronischer Stress sogar ein direkter Risikofaktor für die Entwicklung von Typ-2-Diabetes sein. In einer Längsschnittstudie wurde festgestellt, dass Frauen mit hohen Stresslevels ein 2,3-fach höheres Risiko hatten, innerhalb von drei Jahren an Typ-2-Diabetes zu erkranken. 3
Diese Studie wurde an über 12.800 Frauen in Australien durchgeführt, die zwischen 1946 und 1951 geboren wurden. Frauen, die über mittlere bis hohe Stress-Belastungen in ihrem Leben berichteten, bekamen deutlich öfter Typ 2 Diabetes.
Wie können Sie dem Stress begegnen?
Nun könnten Sie sich fragen: „Ja was soll ich denn gegen den Stress tun? Einfach weniger stressen – wie denn?!?“
Klar, das wäre die beste Lösung, aber wir wissen, dass das nicht immer realistisch ist. Der Chef bleibt der Chef, die Familie braucht Sie, und der Alltag bringt Herausforderungen mit sich.
Aber es gibt Methoden, die helfen, den Stress zumindest ein bisschen zu senken. Achtsamkeit und Meditationsübungen sind da ganz vorn dabei.
Achtsamkeit und Meditation – hilft das wirklich?
Bevor Sie jetzt genervt den Kopf schütteln und sich denken: „Das sind doch wieder so neumodische Methoden!“, lassen Sie mich Ihnen versichern: Es gibt handfeste wissenschaftliche Beweise für die Wirksamkeit von Achtsamkeit und Meditation bei Diabetes.
In einer Untersuchung wurde ein Stressbewältigungstraining durchgeführt, und die Teilnehmer, die regelmäßig an solchen Übungen teilnahmen, konnten eine signifikante Senkung ihrer HbA1c-Werte verzeichnen. 4 Die Unterschiede waren deutlich messbar. Und dabei ging es nicht um stundenlange Meditationen, sondern nur um wenige Minuten am Tag, die gezielt zur Entspannung genutzt wurden.
Wenn Sie also in Ihrer Morgenroutine oder am Abend ein paar Minuten dafür investieren, könnten Sie positive Veränderungen für sich selbst und vielleicht auch für Ihre Blutzuckerwerte erreichen. Dabei geht es nicht darum, von heute auf morgen perfekt zu meditieren – kleine Schritte reichen schon. Vielleicht setzen Sie sich einfach einmal hin, atmen ruhig und tief ein und aus und lassen die Gedanken vorbeiziehen, ohne auf sie zu reagieren.
Stress abbauen – kleine Übungen, große Wirkung
Was könnte das konkret bedeuten?
3 Minuten Atmen
Vielleicht beginnen Sie damit, eine dreiminütige Achtsamkeitsübung in Ihren Tag einzubauen. Setzen Sie sich aufrecht hin, schließen Sie die Augen und konzentrieren Sie sich nur auf Ihren Atem. Einatmen, ausatmen. Keine Sorgen, keine To-do-Listen. Einfach atmen. Viele meiner Patientinnen und Patienten berichten, dass sie dadurch eine kleine "Verschnaufpause" vom Alltag bekommen – und das tut nicht nur dem Kopf, sondern auch den Zuckerwerten gut. Auf vielen Smart-Watches oder Fitness-Armbändern gibt es solche kurzen Atem-Übungen!
Dankbarkeit – nicht nur am Abend
Eine der einfachsten und dennoch wirksamsten Achtsamkeitsübungen für den Abend ist eine kleine Dankbarkeitsroutine.
Besorgen Sie sich ein kleines hübsches Büchlein oder ein kleines Heft.
Bevor Sie zu Bett gehen, notieren Sie drei Dinge, für die Sie heute dankbar sind.
Das können große Momente sein, wie ein wunderschöner Spaziergang im Park, oder auch kleine Dinge, wie der Genuss einer guten Tasse Kaffee am Morgen. Indem Sie diese Momente bewusst aufschreiben, lenken Sie Ihren Fokus auf das Positive im Alltag, selbst wenn der Tag vielleicht stressig oder anstrengend war. Dankbarkeit hilft, eine innere Ruhe zu schaffen und den Tag mit einem wohligen Gefühl abzuschließen.
Diese Übung wirkt umso besser, je genauer Sie untertags hinsehen. „Ich bin dankbar dafür, in Österreich ohne Krieg leben zu dürfen.“ – ja, das ist schön. Für diese Übung ist es aber besser, wenn Sie sich an ganz kleine konkrete Situationen erinnern: „Die Kassiererin im Supermarkt hat so nett gelächelt!“ – „Das kleine Kind im Bus war so niedlich“ – „Da stand noch eine Rose in voller Blüte“…
Wenn Sie sich jeden Abend bemühen, sich an solche kleinen Erlebnisse zu erinnern, dann werden Sie nach kurzen Zeit bemerken, dass Sie untertags aufmerksamer werden für das Schöne: immer öfter denken Sie „oh, ja, das kann ich heute Abend aufschreiben“ – und so gewöhnen Sie Ihr Gehirn daran, Schönes und Positives besser wahrzunehmen.
Studien haben gezeigt, dass solche Dankbarkeitsübungen den Stresspegel senken und damit indirekt auch die Blutzuckerwerte positiv beeinflussen können – besonders dann, wenn Stress bei Ihnen ein Auslöser für erhöhte Werte ist. Machen Sie dies zu einer kleinen Abend-Routine, ganz ohne Druck – es gibt keine falschen Antworten, und alles zählt.
Spazierengehen
Eine andere wunderbare Übung ist das achtsame Spazierengehen. Das Gehen an sich ist ja bereits eine der besten Bewegungsformen für Menschen mit Typ-2-Diabetes.
Achtsam spazieren gehen heißt, ganz bewusst im Moment zu sein.
Wenn Sie draußen unterwegs sind, versuchen Sie, all Ihre Sinne zu aktivieren: Spüren Sie den Boden unter Ihren Füßen, hören Sie die Vögel zwitschern oder die Blätter rascheln, spüren und riechen Sie die frische Luft.
Versuchen Sie, jeden Schritt ganz bewusst wahrzunehmen und Ihre Gedanken auf das Hier und Jetzt zu lenken, statt an den nächsten Termin oder an die Einkaufsliste zu denken.
Wenn die Gedanken abschweifen, holen Sie sie sanft zurück zu Ihrem Atem oder zu den Geräuschen um Sie herum.
Dieses achtsame Gehen kann helfen, den Geist zu beruhigen und Stress abzubauen. Es gibt Ihnen die Chance, sich zu bewegen, ohne dass Sie sich gedrängt fühlen, sportliche Höchstleistungen zu erbringen – es reicht, einfach nur zu gehen, Schritt für Schritt. So tun Sie nicht nur Ihrem Körper etwas Gutes, sondern auch Ihrer Seele, und das wird letztlich auch Ihren Zuckerwerten zugutekommen.
Denken Sie daran, dass 1000 Schritte täglich so gut wirken wie eine Tablette Metformin! Schon 10 Minuten an der frischen Luft – ohne Handy, ohne Verpflichtungen – wirken oft Wunder.
Zusammenfassung
Die Forschung zeigt, dass Stress eine bedeutende Rolle bei der Blutzuckerregulation von Menschen mit Typ-2-Diabetes spielt.
Erhöhter Stress führt zu hormonellen Veränderungen, die die Insulinresistenz verstärken und Blutzuckerspitzen verursachen können. Zudem zeigen Interventionsprogramme, dass die Stressbewältigung zur Senkung des Blutzuckerspiegels beitragen kann. Um die langfristige Diabeteskontrolle zu verbessern, sollten sowohl medizinische als auch psychologische Aspekte, einschließlich Stressmanagement, berücksichtigt werden.
Ich weiß, dass der Alltag oft stressig und herausfordernd sein kann. Aber auch kleine Schritte in Richtung Entspannung und Achtsamkeit können Ihnen helfen, Ihre Zuckerwerte zu stabilisieren.
Denken Sie daran: Es muss nicht so schwer sein.
Seien Sie nachsichtig mit sich selbst und erlauben Sie sich, auch kleine Erfolge zu feiern!
Die Zuckertante grüßt
und wünscht allzeit gute Werte!
Es gibt viele Studien zu Stress und Diabetes. hier einige, die kostenfrei zu lesen sind (alle auf Englisch):
1 Sharma et al., 2022: Stress-Induced Diabetes: A Review
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC9561544/
2 Rook et al., 2016: Emotional reactivity to daily stress, spousal emotional support, and fasting blood glucose among patients with type 2 diabetes
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/25953086/ (Abstract, mit lInks zu weiterführenden Artikeln)
3 Harris et al., 2017: Stress increases the risk of type 2 diabetes onset in women: A 12-year longitudinal study using causal modelling
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5319684/
4 Zamani et al., 2018: The effectiveness of stress management training on blood glucose control in patients with type 2 diabetes
https://dmsjournal.biomedcentral.com/articles/10.1186/s13098-018-0342-5
Gehen wirkt sich meiner Erfahrung nach sehr positiv sowohl auf meinen Blutzucker als auch auf meinen Stresslevel aus. 30 min mehr oder weniger flottes Gehen vor der Arbeit und 30 min danach haben sich bewährt. Meine Mutter (88 Jahre, Diabetes seit ca 30 Jahren) schwört übrigens auf Gartenarbeit. Dabei entspannt sie sich, sie bewegt sich (im Rahmen ihrer Möglichkeiten) an der frischen Luft, und der Blutzucker sinkt.
Danke für diese feinen Beispiele und liebe Grüße an Ihre Mutter!
SP