Eine SEHR gute Nachricht: der Spruch stimmt nicht mehr:
"Menschen mit Typ 2 Diabetes haben SO ein großes Risiko für einen Herzinfarkt wie Menschen die schon einen Infarkt hatten"
Seit vielen vielen Jahren habe ich, haben alle Ärzte und Diabetesberater gewarnt, in jeder Diabetes-Schulung und in vielen Gesprächen: "Achtung, Menschen mit Typ2 Diabetes haben ein mehr als doppelt so hohes Risiko für einen Herzinfarkt wie gesunde Menschen!"
Nach dem 1. Herzinfarkt
Tatsache ist: gesunde Menschen, die den ersten Herzinfarkt hinter sich haben, haben danach ein enorm hohes Risiko , noch einmal einen Herzinfarkt zu bekommen.
Das ist ja der Grund, warum Ärzte sich so intensiv um Menschen nach einem Herzinfarkt kümmern:
Man wird auf REHA geschickt, muss lebenslang einige Medikament nehmen - ganz wichtig, denn manche Medikamente verringern das Risiko, bewiesenermaßen - man soll Bewegung machen, Herzsport-Gruppen werden angeboten, regelmäßige Kontrollen beim Facharzt für Herzkrankheiten, beim Kardiologen, sind Pflicht, regelmäßige Labor-Untersuchungen, EKGs, Herz-Ultraschall...
Diese ganze "Zirkus" wird veranstaltet, eben um den 2. Herzinfarkt möglichst zu verhindern.
Das wissen sehr viele Menschen und finden diese Fürsorge gut und wichtig. Das ist ganz richtig so!
Was viel zu wenig bekannt ist.
Alleine die Diagnose Typ 2 Diabetes bedeutet schon ein erhöhtes Risiko!
Bei der Diagnose "Diabetes Typ 2 " erschrickt man zwar, aber doch nicht so wie bei einem Herzinfarkt.
Seit ich mit Diabetikern arbeite, wussten wir aus guten Statistiken und Studien: Menschen mit Typ2 Diabetes bekommen so oft einen Herzinfarkt, wie Menschen die schon einen hatten!
Alles tun um das Risiko zu senken
Das hat dazu geführt, dass man seit über 20 Jahren sich nicht mehr nur um den Blutzucker kümmert, sondern dass zu einer guten Diabetes-Einstellung auch gute Blutdruck- und Fettwerte gehören. Besonders der Blutdruck und das LDL Cholesterin müssen auf Werte gesenkt werden, die so tief sind, dass das erhöhte Risiko wieder etwas reduziert wird.
Ja, die Zielwerte fürs LDL sind sehr streng. Viele Menschen sind gar nicht begeistert, Fett-Senker nehmen zu sollen. Aber wenn das LDL Cholesterin nicht durch gesundes Essen tief genug wird, wissen wir, dass diese Medikamente einen so großen Erfolg haben wie wenige sonst.
Dazu gibt es einen eigenen Blog-Artikel hier: https://www.zuckertante.at/cholesterin-und-diabetes/
Der große Erfolg
Jetzt zeigt uns eine neue, sehr große Studie, dass all unsere Bemühungen, dass die viele zusätzliche Arbeit sich mehr als lohnt:
In Ontario, in Kanada, wurden die Gesundheits-Daten von jeweils mehr als 2 Millionen Menschen untersucht, in de Jahren 1994 bis 2014.
Anmerkung: Was man dabei untersucht hat: wer hat einen Herzinfarkt oder eine Schlaganfall bekommen oder ist an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung verstorben. Am weitaus häufigsten ist der Herzinfarkt, und der Übersichtlichkeit wegen rede ich ab jetzt nur vom Herzinfarkt, meine aber immer alle 3 .
1994: Herzinfarkte bei Diabetes zweimal so häufig
Menschen mit Typ 2 Diabetes bekamen im Jahr 1994 doppelt so häufig einen Herzinfarkt wie Gesunde.
Und hatten damit eben genau dasselbe Risiko wie Menschen, die schon einen Herzinfarkt hinter sich hatten.
So weit, so bekannt. Diese Daten stimmen überein mit vielen anderen großen Untersuchungen, weltweit, aus den 80er und 90er Jahren.
Die Menschen aus Kanada waren also 1994 genau so schlecht dran wie Menschen in zum Beispiel europäischen Ländern.
Der Kampf gegen das hohe Risiko: von Mediziner-Seite
Ich arbeite schon 30 Jahre lang in diesem Bereich.
Ich kann mich genau daran erinnern, wie entsetzt und schockiert wir in den beginnenden 90er Jahren über diese Daten waren.
Mit einem Schlag ging es in der Diabetes-Ambulanz, in der ich damals gearbeitet habe, ganz besonders auch um Blutdruck und LDL Cholesterin.
Ja klar hatten wir auch schon davor auf Blutdruck und Fettwerte geschaut, aber so richtig wurde es uns erst damals bewusst, WIE wichtig das war.
Auch in die Schulungs-Programme wurden Stunden zum Thema Blutdruck und Cholesterin aufgenommen.
Der Kampf gegen das Risiko: aus Patienten-Sicht
Für Menschen mit T2 Diabetes ist es inzwischen selbstverständlich geworden, dass sie nach Blutdruck und Fettwerten gefragt werden, dass man über die Gefahr des Rauchens spricht und auf jede erdenkliche Art versucht, das Herz-Kreislaufrisiko zu verkleinern.
Ein Gespräch über Diabetes-Einstellung beim Arzt ist nicht komplett, wenn nicht auch Blutdruck und Fettwerte mit einbezogen werden - wobei diese Behandlungen in Österreich meist der Hausarzt übernimmt.
Ganz ehrlich - für mich als Ärztin ist es manchmal mühsam, die immer wieder gleichen Gespräche zu führen über die Sinnhaftigkeit, das LDL Cholesterin zu senken, auf Laboruntersuchungen zu drängen usw usw...
...und ich kann mir gut vorstellen, dass auch unsere Patienten und Patientinnen manchmal genervt sind, wenn wir sie zusätzlich zu den Diabetes-Fragen auch noch mit diesen Vorsorge-Untersuchungen und -Empfehlungen "beglücken".
Ontario, Kanada: die Studie
Vorausschicken möchte ich, dass es in Kanada ein gutes öffentliches Gesundheits-System gibt.
Alles was ich ab jetzt berichte, gilt natürlich nur für Länder, in denen alle Menschen Zugang zu guter Behandlung haben.
Die Studie heißt:
Trends in the Association Between Diabetes and Cardiovascular Events, 1994-2019
Ganzer Text hier:
https://jamanetwork.com/journals/jama/fullarticle/2797494
Zusammenfassung auf Deutsch hier:
www.aerzteblatt.de
Über 2 Millionen Menschen und ihr Risiko
Für diese Studie wurden die Gesundheits-Daten von jeweils über 2 Millionen Menschen ausgewertet,
alle 5 Jahre von 1994 bis 2019.
Ausgangswerte:
Diabetes-Häufigkeit :1994 3,15% -- 2019 9,0%
(das ist das was wir seit Jahren beobachten: immer mehr Menschen bekommen Diabetes)
Mittleres Alter: 1994 44,4 Jahre - - 2019 47,5 Jahre
(das zeigt, dass auch in Kanada die Bevölkerung immer älter wird)
1994: Risiko wie erwartet: doppelt
Menschen ohne Diabetes: von 1000 Menschen bekamen jedes Jahr 13 Personen einen Herzinfarkt oder eine sonstige schwere Herz-Kreislauferkrankung
Menschen mit Diabetes: von 1000 Menschen bekamen jedes Jahr 28 Personen einen Herzinfarkt oder eine sonstige schwere Herz-Kreislauferkrankung
Menschen mit Diabetes UND bereits einer Herz-Kreislauf-Erkrankung: von 1000 Menschen bekamen jedes Jahr 74 Personen einen Herzinfarkt oder eine sonstige schwere Herz-Kreislauferkrankung
Menschen mit Diabetes bekamen also mehr als doppelt so häufig Herz-Kreislauf-Erkrankungen (28 statt 13)!!
2014: Risiko nur mehr 1 1/2fach!
Menschen ohne Diabetes: von 1000 Menschen bekamen jedes Jahr 8 Personen einen Herzinfarkt oder eine sonstige schwere Herz-Kreislauferkrankung
Menschen mit Diabetes: von 1000 Menschen bekamen jedes Jahr 14 Personen einen Herzinfarkt oder eine sonstige schwere Herz-Kreislauferkrankung
Menschen mit Diabetes UND bereits einer Herz-Kreislauf-Erkrankung: von 1000 Menschen bekamen jedes Jahr 51 Personen einen Herzinfarkt oder eine sonstige schwere Herz-Kreislauferkrankung
Risiko deutlich geringer
Das Schöne ist, dass das Risiko ja bei ALLEN Menschen zurück gegangen ist.
Menschen mit Diabetes bekommen zwar noch immer deutlicher häufiger Herzinfarkte und andere schwere Herz-Kreislauferkrankungen, aber das Risiko ist nun nicht mehr doppelt so hoch wie bei Gesunden, sondern nur mehr etwas über 1/2 fach so hoch.
Es ist beeindruckend. OBWOHL der Diabetes so viel häufiger geworden ist ( von 3,15 auf 9%) , bekommen 2014 "nur" mehr 8 von 1000 Menschen pro Jahr einen Herzinfarkt, 1994 waren es noch 28!
Die Gründe für diesen großen Erfolg:
ganz klar: besseres Gesundheits-Bewusstsein, besseres Wissen um gesundes Essen, und das intensive Bemühen um gute Blutdruck- und Fettwerte, der Kampf gegen das Rauchen.
Bessere Medikamente - gegen erhöhte Zuckerewerte, gegen erhöhten Blutdruck und gegen erhötes Cholesterin.
Das alles ist nach wie vor bei Diabetikern noch viel wichtiger als bei Menschen ohne Diabetes.
Aber "Risiko bei Diabetes so hoch wie bei Gesunden die schon einen Herzinfarkt hatte" - das stimmt zum Glück nicht mehr!
Irgendwie berührt mich das nun sehr - ich arbeite schon so lange mit Menschen mit Diabetes. Ich habe schon bemerkt, dass Herzinfarkte usw deutlich weniger wurden, besonders bei Menschen mit Diabetes.
Wie oft haben wir in der Diabetes-Ambulanz in den 90er Jahren und in den Jahren nach 2000 gehört, dass einer unserer Patienten "auf der Kardiologie mit einem Herzinfarkt liegt".
Gefühlt ist das viel seltener geworden, wie übrigens alle Diabetes-Spätschäden auch, aber ich habe dann ja auch in einer Krankenkassen-Ambulanz und dann in der Kassen-Ordination gearbeitet - da habe ich jeweils verschiedene Patientengruppen gesehen.
Nun haben wir es "schwarz auf weiß", an einer sehr großen Menschen-Menge erhoben, in einem sehr guten Journal publiziert - diese Werte stimmen und sind eine wirklich wirklich gute Nachricht!